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Frank Bahl
Frank Bahl

Aversives Training sorgt für nachhaltige Rückschläge in der Hundeerziehung

Hallo ihr Lieben.

Nachfolgend eine Studie der Uni Porto aus dem Jahr 2019, die mir erst jetzt in die Hände fällt, über die Auswirkungen aversiver Handlungen an Hunden im Vergleich zu belohnungsorientierten Methoden.


Zusammenfassung:

ABSTRACT

Es gibt immer mehr Hunde, die als Begleittiere gehalten werden, und die Methoden, mit denen sie trainiert werden, reichen von überwiegend positiver Bestrafung und negativer Verstärkung (aversive Methoden) bis hin zu überwiegend positiver Verstärkung (belohnungsorientierte Methoden). Obwohl aversive Methoden stark kritisiert werden, da man annimmt, sie könnten das Wohlergehen von Hunden negativ beeinflussen, gibt es dafür keine solide wissenschaftliche Evidenz. Frühere Studien fehlen an Forschung mit Familienhunden, an Untersuchungen des gesamten Spektrums aversiver Techniken (über Elektrohalsbänder hinaus), an objektiven Wohlbefindensmaßen und an Langzeitstudien. Ziel der vorliegenden Studie war eine umfassende Bewertung der kurz- und langfristigen Effekte aversiver und belohnender Trainingsmethoden auf das Wohlbefinden von Familienhunden. Zweiundneunzig Hunde wurden in drei belohnungsorientierten (Gruppe Reward, n = 42) und vier aversiven (Gruppe Aversive, n = 50) Hundeschulen rekrutiert. Für die kurzzeitige Bewertung wurden die Hunde während dreier Trainingsstunden auf Video aufgenommen und sechs Speichelproben jeweils dreimal zu Hause (Baseline) und drei Mal nach dem Training entnommen. Die Videos wurden ausgewertet hinsichtlich stressbezogener Verhaltensweisen (z. B. Lefzenlecken, Gähnen) und des allgemeinen Verhaltenszustands (z. B. angespannt, entspannt). Die Speichelproben wurden auf Cortisolkonzentration analysiert. Für die langfristige Bewertung absolvierten die Hunde eine kognitive Bias‑Aufgabe. Hunde aus der Gruppe Aversive zeigten deutlich mehr stressbezogene Verhaltensweisen, verbrachten mehr Zeit in angespannten und niedrigen Verhaltenszuständen sowie beim Hecheln, hatten höhere Cortisolanstiege nach dem Training und bewerteten in der Bias‑Aufgabe die Situationen pessimistischer als Hunde der Gruppe Reward. Diese Ergebnisse zeigen, dass die Anwendung aversiver Methoden das Wohlbefinden von Familienhunden sowohl kurz‑ als auch langfristig beeinträchtigt.

 

1. Einführung

Hunde müssen so trainiert werden, dass sie im menschlichen Haushalt angemessen reagieren – etwa Stubenreinheit oder ruhiges Gehen an der Leine. Verhaltensprobleme sind häufig Gründe für Abgabe oder Einschläferung von Hunden. Methoden des Hundetrainings basieren meist auf operanter Konditionierung: aversive Methoden verwenden positive Bestrafung und negative Verstärkung, während belohnungsorientierte Methoden auf positiver Verstärkung und negativer Bestrafung beruhen. Aversive Methoden stehen in der Kritik, weil Studien negative Effekte auf das Wohlbefinden nahelegen. Elektrohalsbänder sind in einigen Ländern bereits verboten. Dennoch fehlt ausreichende und solide Forschung: Frühere Studien nutzten oft Befragungen statt objektiver Messungen, fokussierten auf Polizei‑ oder Laborhunde und beschränkten sich meist auf Elektrohalsbänder. Damit ist das gesamte Spektrum aversiver Techniken und deren Wirkung auf Familienhunde kaum untersucht.

Bisherige Studien betrachteten meist nur kurzfristige Effekte anhand von Verhaltens‑ und physiologischen Stressindikatoren im Trainingskontext. Die langfristigen Auswirkungen blieben meist unerforscht – eine Ausnahme ist eine Studie von Christiansen et al. (2001), die jedoch auf Berichten von Hundebesitzern und Temperamenttests basierte, nicht auf objektiven Tierwohlindikatoren. Um sowohl kurzfristige als auch langfristige Auswirkungen abzuschätzen, bedarf es umfassender objektiver Messungen, einschließlich einer Bewertung der affektiven Zustände über eine kognitive Bias‑Aufgabe.

 

2. Methoden

Ziel war eine umfassende Studie zu kurz‑ und langfristigen Folgen aversiver vs. belohnungsorientierter Methoden auf das Wohlbefinden von Familienhunden. Die Studiengruppe umfasste 92 Hunde – 50 aus aversiv arbeitenden Schulen, 42 aus belohnungsbasierten. Trainingsmethoden wurden über Videoanalysen objektiv klassifiziert.

Phase 1 (kurzfristig): Während dreier Trainingsstunden wurden Videos zur Analyse stressbezogener Verhaltensweisen und allgemeinem Verhaltenszustand erstellt. Zudem wurden sechs Speichelproben je Hund entnommen – drei Baseline zuhause, drei post‑Training – und auf Cortisol analysiert.

Phase 2 (langfristig): Die Hunde absolvierten eine kognitive Bias‑Aufgabe: Sie lernten, eine mit Futter beladene (positive) und eine leere (negative) Position zu unterscheiden, anschließend wurde ihre Reaktion auf unklare Positionen gemessen.

 

3. Ergebnisse

In Phase 1 zeigten Hunde der Gruppe Aversive deutlich mehr stressbezogene Verhaltensweisen und verbrachten mehr Zeit in angespannten oder definierten „Low“-Zuständen, sowie beim Hecheln. Sie hatten höhere post‑Trainings‑Cortisol-Werte als Baseline, während bei der Gruppe Reward keine Veränderung festzustellen war. Auch korrelierte die Häufigkeit stressauslösender Reize mit stärker ausgeprägten Stressindikatoren.

In Phase 2 lernten Hunde der Reward‑Gruppe die kognitive Aufgabe schneller. In der Testphase zeigten Hunde der Aversive‑Gruppe besonders bei der mittleren (ambivalenten) Position längere Reaktionszeiten, was als pessimistisches Urteil interpretiert wird. Auch hier war die Häufigkeit aversiver Reize mit den Ergebnismaßen korreliert.

 

4. Diskussion & Schluss

Diese Studie ist die erste, die systematisch kurz‑ und langfristige Auswirkungen aversiver vs. belohnungsbasierten Methoden auf Familienhunde objektiv untersucht. Sie zeigt: Aversive Methoden stehen in Verbindung mit schlechteren Indikatoren des Wohlbefindens – sowohl im Training als auch außerhalb. Auch die Dosis an aversiven Reizen verstärkt den Effekt. Die Befunde unterstützen die Empfehlung, belohnungsbasierte Methoden zu verwenden und aversive Techniken möglichst selten und bedacht einzusetzen.


Hier der Link zur ursprünglichen Studie (in Englisch):

https://www.biorxiv.org/content/10.1101/823427v1.full

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